Wie die Seilschaften von Großbritannien zustande kamen und warum sie (auch) für Schottland wichtig sind, möchte ich versuchen, heute ganz grob aufzuschlüsseln. Die Idee – oder Befürchtung -, dass viele Menschen gar nicht wissen könnten, dass es nicht nur um England, Schottland und das Inselchen in der Nordsee geht, kam mir, als in Glasgow die Commonwealth Games eröffneten. Ich sprach mit Bekannten darüber, als ich meine wöchentlichen Sportkurse konsultierte, und erntete nur Unverständnis, weil noch nie jemand von den Commonwealth Games gehört hatte. Klar, wie auch, die Teilnehmer bleiben ja auf die Mitgliedsstaaten des Commonwealth begrenzt, und da ist Deutschland außen vor.
Also, eins nach dem anderen. Der Begriff Commonwealth heißt eigentlich nichts anderes als Gemeinwohl. Er bezeichnet einen Staatenbund, und die Idee geht wohl auf die römische Res Publica zurück, in der – wenn auch anders als wir es uns heute wünschen würden – schon so etwas wie Demokratie herrschte. Der Begriff Commonwealth ist und war Bestandteil verschiedener Staatenbünde. Wenn heute von dem Commonwealth die Rede ist, ist in der Regel aber der Commonwealth of Nations gemeint, der im British Commonwealth of Nations wurzelt und in seiner heutigen Form um 1930 seinen Anfang nahm.
Was zu Beginn des 20. Jahrhunderts den britischen Monarchen – insbesondere George V. – und der britischen Regierung nämlich gar nicht passte, waren die Autonomiebemühungen vieler Dominions. Zum Begriff der Dominions ganz kurz angerissen: Im Grunde schon seit den amerikanischen Unabhängigkeitskämpfen im 18. Jahrhundert, spätestens aber seit dem Sepoy-Aufstand 1857 – dabei ging es vornehmlich um den Vorwurf, England würde Ostindien verwestlichen und kulturell zerstören – war das Wort Kolonie nicht mehr so richtig en vogue und passte vor allem nicht auf Gebiete, die vornehmlich aus Siedlern bestanden. Eine Dominion ist ein sich selbst verwaltendes Gebiet, das Teil eines Größeren ist. Klingt doch viel besser als Kolonie, was Assoziationen von in Ketten gelegten Strafgefangenen hervorruft, oder? Und so erhielten unter anderem Kanada, Neuseeland und Australien diesen Stempel, um klarzumachen, dass sie ganz freiwillig Teil des britischen Weltreiches (British Empire) waren, ganz egal, ob es tatsächlich so war oder nicht. Das Empire umfasst zu seiner Blütezeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als England als Zentrum der Macht in Europa keine ernstzunehmenden Gegner hatte und sich hübsch aus allem, was zu Konflikten und damit zu neuen Gegnern hätte führen können, raushielt, übrigens mal eben ein Viertel der Weltbevölkerung. Es würde jetzt zu weit führen, alle Gebiete und deren Status aufzuschlüsseln, zumal das Empire nicht nur Kolonien (die zumindest später ungern so bezeichnet wurden) und Dominions, sondern auch Protektorate, Mandatsgebiete und informelle Gebiete umfasste, deren Wirtschaft über Handel beeinflusst wurde. Aber klar sollte sein, dass Großbritannien (stets mit London und damit England als Zentrum der Macht) eine absolut übermächtige Nation war und Machtverluste vermeiden wollte, logisch.
Dass Kolonien sich aber gegen die britischen Einflüsse wehrten und Dominions eine Dezentralisierung jeglicher Verwaltung forderten, zwang Großbritannien zum Handeln. Gründe für dieses Vorgehen gab es viele, und einige waren im Ersten Weltkrieg zu suchen. Aber unterm Strich ist der Commonwealth ursprünglich mal eine Art Deckmäntelchen gewesen, unter dem das British Empire weiterbestehen konnte, als es bereits zerfiel. Zunächst waren es nur Großbritannien selbst und die Dominions, also Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika, die sich sozusagen ewige Treue – und der britischen Krone ebenfalls – schworen und sich zum Bund völlig gleichberechtigter und autonom agierender Staaten zusammenschlossen. Relativ schnell kamen in dieser Reihenfolge Indien, Sri Lanka (ehemals Ceylon), Pakistan und Ghana, später viele weitere Staaten hinzu.
Das Bild, dass sie sich Treue schworen, habe ich nicht zufällig gewählt. Der Commonwealth kann als eine Art Ehe gesehen werden. Wie sich in einer modernen Ehe zwei Menschen, die gleichberechtigt sind und in ihrer Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung eigenständig, zu einer Einheit verbinden, so sind die aktuell 53 Commonwealth-Mitglieder miteinander ein Bündnis eingegangen, das nach außen hin symbolisch die britische Königin als Leitfigur hat und nach innen hin insofern freundschaftlich verbunden ist, als dass sie danach streben, Meinungsverschiedenheiten friedlich beizulegen, sich in Krisenzeiten gegenseitig Hilfen zu gewähren und gemeinsame politische Ziele zu verfolgen. Letzteres ist mit der Zeit verblasst, zugegeben, aber nach wie vor ist der Commonwealth meines Wissens der größte politische Zusammenschluss weltweit, und in den Mitgliedsstaaten leben mehr als 29 Prozent der Gesamtweltbevölkerung.
Die Queen spielt eine wesentliche Rolle, denn sie hält zumindest dieses Gefüge zusammen, ist sie doch repräsentatives Staatsoberhaupt jedes Mitgliedsstaates. Ja, sie ist auch Queen of Canada, kein Witz. Und Queen of Jamaica, und Queen of Samoa und so weiter. Das hat auf die tatsächlichen Staatsangelegenheiten indes keinerlei Einfluss, sondern sollte nur als eine Art majestätische Klammer gesehen werden.
Diplomatische und Handelsbeziehungen innerhalb der Mitgliedsstaaten sind jedoch nach wie vor weitgehend gut. Dass es einige Staaten gibt, die ausgetreten sind oder suspendiert wurden, deutet darauf hin, dass aber auch innerhalb des Commonwealth nicht alles eitel Sonnenschein ist. Um zu wissen, dass ein Großteil schottischer Exporte innerhalb des Commonwealth bleibt, muss ich die aktuellen Statistiken nicht einmal kennen, das ist evident. An guten Beziehungen zu den Commonwealth-Ländern hat also auch Schottland ein Interesse, keine Frage.
Was aber passiert nun, wenn Schottland sich unabhängig erklären sollte? Easy peasy, wenn Wikipedia Recht hat:
In der Praxis sieht es so aus, dass die Staaten, wenn sie zu einer Republik werden, formell aus dem Bund austreten. Anschließend stellen sie einen Antrag auf Wiederaufnahme, der automatisch gewährt wird.
Alles klar, also käme Schottland dann also als eigene Nation wieder rein und hätte damit automatisch die Queen wieder als repräsentatives Staatsoberhaupt. Oder? Oder wäre denkbar, dass die Queen mitsamt Commonwealth not amused wäre über das abtrünnige Kind und ihm die Tür vor der Nase zuknallt?
©Maria Pakura